Kurhauspassage
Ein wohltemperiertes Passagen-Werk
Den architektonischen Verlockungen der Extravaganz zu widerstehen und im Gegensatz dazu auf die regionalen Gegebenheiten Rücksicht zu nehmen, mag beim Entwerfen nicht immer ganz leicht fallen, zeugt aber von Charakter und Stärke. Und gerade diese beschwört die neue Kurhauspassage. Ein Bau, der mit seinem städtebaulichen Ansatz südliche Atmosphäre generiert, der Selbstbewusstsein aus- strahlt ohne aber in Konkurrenz zu seiner Umgebung treten zu wollen, einer, der sich einzufügen vermag und dennoch eine selbstständige Haltung vermittelt.
Alt neben neu
Die verwendeten Materialien reduzieren sich gezielt auf Glas, Metall, Verputz und Granit, allerdings findet auch das Alte, das beim Bau sichtbar wurde, seinen Platz. Im Bauab- schnitt Laubengasse stießen die Architekten auf Stadtmau- ern, die bis ins 12. Jahrhundert zurückreichen. Ebenso finden sich historische Mauerreste in der Tiefgarage, die über die Freiheitsstraße befahren wird. In beiden Fällen haben abram & schnabl diese sichtbar in den Bau integriert. Diese Details, wie auch die nicht immer ganz leicht umzusetzende Forde- rung, die Glasfassaden der Geschäfte in der Passage ohne Sockel bis zur Hofpflasterung zu führen, vermitteln dem Gesamten eine wohltemperierte Atmosphäre, harmonisch alt und neu verbindend, zwischen urban und regional wechselnd. Die Metapher des Wohltemperierten ist aber durchwegs auch klimatisch zu verstehen, denn Meran braucht im Sommer vor allem Kühle und Schatten: beides spenden die drei Innen- höfe auf beschauliche Weise.
Die neue Kurhauspassage fügt sich in seine von Jugendstil- bauten geprägte Umgebung ein, ohne aber mit ihr in Kon- kurrenz zu treten. Sie nimmt Rücksicht auf die Lokalität, spielt mit dem regionalen, wie der Olivenbaum im ersten Hof zeigt, vermittelt aber internationales Flair.
Südliche Stimmung
Sonnig, nebelfrei und regenarm: Das besondere Klima der Dolomiten machte Meran um 1900 zum bekannten Kurort. Mit dem frühen Tourismusboom kam auch der Wunsch nach Prachtbauten für die Stadt an der Prasser, was im Neubau des Kurhauses, 1914 nach einem Entwurf des Wiener Architek- ten Friedrich Ohmann fertiggestellt, einen architektonischen Höhepunkt erfuhr.
Auch wenn der städtische Aufstieg Merans so vielversprechend begonnen hatte, nach dem Ende des Ersten Weltkrieges war Schluss damit, denn mit dem Zusammenbruch der österreichischen Monarchie blieb auch das Kur-Klientel aus; Friedrich Ohmanns Jugendstilbau aber blieb bestehen. Ihm gegenüber befindet sich heute die neue Kurhauspassage von abram & schnabl, die als eigenständiges Statement sowohl städtebauliche Arbeit leistet als auch die Neuinterpretation der historischen Substanz auf sensible, aber durchwegs zeitgemäße Weise löst.
Zeno Abram hat recht, wenn er meint, dass das Einbeziehen des Bestandes durch eine Überbauung" die Fassade zur Freiheitsstraße auflockert und ihr vor allem die Strenge nimmt. Denkmalschützerisch bestand keine Notwendigkeit, das kleine Gebäude, in dem die Banca Popolare di Sondrio untergebracht ist, bestehen zu lassen. Aber indem sich abram & schnabl dazu entschlossen hatten, gaben sie dem Bauab- schnitt der Kurhauspassage, der jetzt selbstbewusst über das Bankhaus ragt, eine städtische, beschwingte, ja man könnte durchaus sagen „südliche" Note.
architektur.aktuell 7-8.2004
Andrea Nussbaum
Projektdaten
Ort: Meran, IT
Status: Abgeschlossen
Planungsbeginn: 7/1997
Ausführung: 3/2000 - 4/2003
Bauherren
Erika Inderst und Karl Weithaler
Irene Stuflesser, Annemarie Stuflesser, Marlene Comploy, Magdalene Senoner
Entwurf, Planung
Abram & Schnabl Architekten Bozen
Arch. Elmar Unterhauser Meran
Design team
Ulrike Mühlberger
Thilo Doldi
Mario Festa
Petra Breddermann
Bauleitung
EU Architects – Ingenieure Meran
Arch. Elmar Unterhauser
Dipl. Ing. Arch. Christoph Störk
Mitarbeit
Emil Wörndle
Karin Thieltges
Tragwerksplanung
Ing. Bruno Marth Meran